Frauen in der Wissenschaft

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Laufbahn zwischen Karriere und Barriere

«Genehmigt!» – Dieses Wort, handschriftlich auf einer ministeriellen Entschließung notiert, markierte für die Frauenwelt einen bedeutungsvollen Wendepunkt: 1903 unterzeichnete Prinzregent Luitpold einen Erlass, der bayerischen Frauen den Hochschulzugang ermöglichte. Erst zwei Jahre später – vor über 100 Jahren – durften die zunächst auf die Geisteswissenschaften verwiesenen Frauen dann auch den Sturm auf die naturwissenschaftlichen Männerbastionen proben: Die damalige Münchner Technische Hochschule war die erste in Deutschland, die den Frauen ihre Pforten öffnete.

Naturwissenschaft – ein Fach für höhere Töchter und starke Frauen
In den nächsten Jahrzehnten waren es allerdings meist nur wenige Professorentöchter und junge Frauen aus Unternehmerfamilien, die sich einschrieben: Annelise Eichberg war 1930 eine Architekturstudentin unter 80 Männern. Maren Heinzerling – später an der Entwicklung des Transrapid beteiligt - war noch 1958 die einzige Maschinenbaustudentin: «Ich war mir der Verantwortung bewusst – wenn ich durch die Prüfung falle, fallen 100 Prozent der Frauen durch.»

In den 20er und 30er-Jahren stürmten die Frauen die Universitäten. In der NS-Zeit wurden die jungen Akademikerinnen jedoch jäh ausgebremst: Die Propaganda schickte Frauen wieder zurück an den Herd. Erst als in den Kriegsjahren Akademiker fehlten, förderte man sie wieder. Nach dem Ende des Krieges mussten die Frauen erleben, dass sie aufs Neue unerwünscht waren. Sie wurden nicht mehr gebraucht, und im konservativen Klima der jungen BRD blühte das traditionelle Rollenbild der Hausfrau und Mutter wieder auf.
Die Erwerbstätigkeit von Frauen wurde nur so lange geduldet, wie sie mit den «Pflichten in Ehe und Familie» vereinbar war. Doch in den 60ern und 70ern nahmen die Hochschulfrauen ihre Belange schließlich selbst in die Hand. Sie studierten nicht mehr nur mit, sondern sie etablierten ein neues Fach, die «Frauen- und Geschlechterforschung».
Bund und Länder starteten ein Förderprogramm, das Akademikerinnen durch Stipendien unterstützen sollte. Seit 1989 sorgen Frauenbeauftragte für Gleichstellung an den Universitäten.

Akademikerin heute – immer noch Exotin
Obwohl es immer wieder große Frauen in der Wissenschaftsgeschichte gab – sie sind bis heute Ausnahmen. Staatliche Förderprojekte und Netzwerke für Frauen haben nicht zum erwünschten Ausgleich geführt. Weibliche Lehrkräfte sind meist nur auf mittleren Universitätsebenen zu finden. Sie sind Dozentinnen oder Assistentinnen, aber selten Professorinnen. Immer noch sind über 90 Prozent der Lehrstühle von Männern besetzt

Charakter der Karriereleiter: Je höher, desto Mann
Die geschlechtliche Stukturierung an den Universitäten lässt sich auf eine einfache Formel bringen: Je höher die Qualifikationsstufe, desto geringer wird der Frauenanteil. Obwohl also zum Beispiel 2003 schon 60 Prozent der Studierenden an der LMU München weiblich waren, lag der Anteil der Doktorantinnen nur noch bei 35 Prozent. Noch dramatischer sah es bei Professuren aus, hier waren es bayernweit lediglich sechs Prozent. Die lehren vorzugsweise in klassischen «Frauenfächern»: In den Fächern der Sprach- und Kulturwissenschaften ist der Frauenanteil beim Professorennachwuchs besonders hoch.

Reichen die Maßnahmen der Frauenförderung nicht aus? Oder wollen Frauen gar keine akademische Karriere machen? Sind Frauen doch keine leidenschaftlichen Wissenschaftlerinnen? Oder gibt es trotz allen Bemühungen nach wie vor patriarchalische Strukturen an den Unis? Lassen sich Mädchen und junge Frauen bei der Berufswahl von traditionellen Geschlechterrollen beeinflussen?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Frauen- und Geschlechterforschung schon lange. Aber die Barrieren sind schwer greifbar. Ein Umbruch ist noch nicht in Sicht, die Fördermaßnahmen und Frauenbeauftragten allein bewirken offensichtlich keine durchschlagenden Veränderungen. Warum bleiben Frauen auf dem akademischen Karriereweg oft stecken? Eine EU-Studie von 1999 konstatiert eine «weiche Diskriminierung». Frauen werden oft «übersehen», sie werden weniger zitiert und von Mentoren weniger animiert, sich um höhere Posten zu bemühen.

Akademische Würden versus Familiensegen
Die größte Hürde auf der Karriereleiter sind Kinder. Der Zeitpunkt der Familiengründung liegt meist um Ende zwanzig bis Anfang dreißig – Ungünstiger könnte er für die betroffenen Frauen nicht sein. Um auf der Karriereleiter weiter zu kommen, müssen sie ihre Forschungsleistung gerade in dieser Phase intensivieren. Unterbrechen Frauen ihre Karriere für die Geburt und die Erziehung ihrer Kinder, haben sie anschließend oft Schwierigkeiten wieder in die akademische Laufbahn einzusteigen. In der Forschung die Arbeitszeit flexibel zu gestalten, um Arbeit und Betreuung der Kinder unter einen Hut zu bekommen, ist meist unmöglich. Zudem sehen sich Forscherinnen häufig mit negativen Einstellungen von Kollegen und Vorgesetzten konfrontiert – für einige Frauen Grund genug, die Forschung zu verlassen.

Revierkampf an der Alma Mater
Weibliche Lebensumstände und Mutterschaft allein sind allerdings nicht ausschlaggebend. Die universitären Strukturen sind das größere Problem: Denn dort geht es nicht nur um die reine Wissenschaft, sondern auch um den Wettbewerb. Dazu tragen Männer «Kämpfe» unter ihresgleichen aus, deren Ritualen sich Frauen oft verweigern – meist sind sie schon deshalb nicht im engsten Kreis integriert. An den Universitäten zeichnet sich ab, dass die Laufbahn von Akademikerinnen immer zwischen Karriere und Barriere verläuft. Es scheint, als ob genau der Ort, an dem fortschrittliches Denken beheimatet ist, in seiner institutionellen Struktur zu traditionell und schwerfällig ist.
Wie kann erreicht werden, dass Frauen künftig besser in der Forschung vertreten sind? Ein wichtiger Schritt ist, die Anzahl weiblicher Studierender zu erhöhen. Eine weitere Option ist ein Stipendienprogramm, das ausschließlich Wissenschaftlerinnen mit Kindern offen steht. Mit Hilfe solcher Mittel können Tutorien sowie Lehraufträge und Gastprofessuren für Frauen finanziert werden.

Nach: www.br-online.de/wissen-bildung